Der Steuerberater als Krisenmanager - Das Autorengespräch

Erstellt von Daniel Terwersche am Nov 12, 2020 7:30:00 AM

Die fünf AutorInnen dieses Buches –Ines Scholz, Steffi Köchy-Gellfart, Paul Liese, Daniel Terwersche und Martin Klumpp – hat ihr Engagement für zukunftsfähig aufgestellte Kanzleien und ihre Neugier auf Veränderungen zusammengeführt. Per Videokonferenz haben sie sich darüber ausgetauscht, was der Lockdown mit ihnen persönlich und mit ihren Unternehmen gemacht hat, wie sie durch diese Krise kommen und was sie mitnehmen und mitgenommen haben aus dieser Zeit.

Im Gespräch wird deutlich, dass diese fünf Menschen ganz unterschiedlich auf diese Wochen und Monate blicken. In einem Punkt sind sich aber alle einig: Wann, wenn nicht jetzt ist die Zeit für eine Zeitenwende in der Steuerberatung gekommen.

 

Was bedeutet die Corona-Krise für dich persönlich?

 

Paul Liese (Paul): Eine Chance. Punkt. Ich bin nicht so der Typ, der negativ denkt und sich allzu viel Gedanken darüber macht, was wäre, wenn…? Ich frage mich stattdessen: Wie löse ich diese Situation? Welchen Vorteil kann ich mir daraus erarbeiten, welche neuen Möglichkeiten ergeben sich daraus? Darüber denke ich nach, das aber auch nicht lange, dann geht's ans Machen. Dabei betrachte ich die Dinge aus verschiedenen Blickwinkeln. Immer die gleiche Sicht auf die gleichen Themen, das ist irgendwann echt langweilig.

 

Daniel Terwersche (Daniel): Also für mich persönlich bedeutet Corona eine Rückbesinnung. Vor Corona hatte ich das Gefühl, dass ein Overkill stattgefunden hat. Durch Corona – oder dank Corona – habe ich das Gefühl, dass es wieder um das Wesentliche geht. Auch im Privaten, wo man sich wieder mehr auf Familie besinnt oder Freunde, weil man Verzicht üben musste. Ich bin 1980 geboren. Ich kenne Verzichten quasi gar nicht. Jetzt erst habe ich überhaupt das erste Mal festgestellt, was Verzicht wirklich bedeutet und was mir tatsächlich fehlt. Also ganz ehrlich? Mir gefällt die Zeit im Moment ganz schön gut. Für mich persönlich ist es eine sehr wertvolle Zeit.

 

Steffi Köchy-Gellfart (Steffi): Für mich ist es erst einmal sehr viel Veränderung, sehr viel Herausforderung gewesen. Wobei ich es sehr spannend finde, mich mit diesen ganzen neuen Herausforderungen auseinanderzusetzen. Die Sichtweise auf all das ist ja sehr unterschiedlich. Der eine sagt: "Ich halte mich ganz strikt an all diese Vorschriften und Vorgaben." Der nächste sagt: "Das finde ich alles völlig falsch, weil die Wirtschaft leidet." Man muss erst einmal herausfinden: "Was ist mir eigentlich wichtig, wo stehe ich in diesem ganzen Wirrwarr? Was ist mein eigener Standpunkt in dieser Flut von Informationen?" Damit habe ich mich viel auseinandergesetzt. Persönlich habe ich mich nicht so betroffen gefühlt, ich hatte kein Problem mit der Kinderbetreuung, lebe auf dem Land. Daher habe ich mich viel mit den beruflichen Chancen beschäftigt.

 

Ines Scholz (Ines): Corona bedeutet für mich ein Stück Einbuße persönlicher Freiheit – das habe ich als extrem empfunden. Dass ich durch ein Virus, das ich nicht sehen und nicht greifen kann, so in meiner eigenen Handlungsfähigkeit gestoppt werde... Das Stoppen hat aber nicht allzu lange angehalten. Dafür ist mir vieles von dem, was ich tue, zu wichtig und wertvoll, um lange in dieser Starre zu verbleiben. Zum einen wollte ich mich gut um meine Familie, aber auch um meine Mitarbeiter und Mandanten kümmern. Auf der anderen Seite habe ich schnell gemerkt, dass sich auch meine Mitarbeiter der Verantwortung auf ihren Arbeitsplätzen bewusst waren. Natürlich haben wir auch versucht, vieles über Homeoffice zu organisieren – gerade für die Kolleginnen und Kollegen mit Kindern. Wir haben aber auch eine Art Teildienst eingeführt, so dass wir immer mindestens zwei Mitarbeiter vor Ort hatten, um unsere Mandanten vernünftig zu betreuen. Dabei ist unter anderem unser Auszubildender unglaublich in die Lücke gegangen, hat den Kollegen Dinge abgenommen und Stellung gehalten. Letzten Endes sind wir als Mannschaft eher zusammengewachsen. Außerdem ist mir bewusst geworden, dass der Job, den wir hier machen, nicht nur mir als Chefin sehr viel bedeutet. Ich wurde durchaus auch durch meine Mitarbeiter getragen.

 

Martin Klumpp (Martin): Ich habe es ebenfalls als seltsam empfunden, dass wir als Gesellschaft plötzlich die Gesundheit über die Freiheit stellen. Ich habe viel darüber nachgedacht und mir persönlich ist klar geworden, dass für mich das höchste Gut, das der Staat, in dem ich lebe, mir bereitstellen sollte, die Freiheit ist. Denn die Gesundheit kann er mir nicht garantieren, das muss jeder Einzelne tun im Bereich der Eigenverantwortung. Ich habe bis heute schwer damit zu kämpfen, dass grundlegende Freiheitsrechte beschränkt werden. Und was mich auch wahnsinnig stört: Nach meiner Wahrnehmung stellen insbesondere viele Lehrer das persönliche Risiko voran, um eigentlich mehr Freizeit bei vollem Entgelt zu haben, während meine Kinder zuhause unbeschult sind. Seit zehn Wochen hier in Baden-Württemberg. Ich finde das dramatisch schlimm. Ich habe das auch unserem Ministerpräsidenten geschrieben, unserem Oberbürgermeister. Ich glaube, das geht zu weit. Man muss jetzt seine Stimme erheben.

 

Inwiefern hat sich eure Haltung in dieser Zeit verändert? Gab es einen Entwicklungsprozess?

 

Ines: Da bin ich ein Stück weit bei dir, Martin. Auch meine erste Reaktion Mitte März war: Rebellion! Aber es nützte ja alles nichts, denn die Welt da draußen war so. Das Wochenende vor dem Lockdown war ich noch bei einem Seminar mit über 50 Menschen. Wir haben Abstand gehalten, uns desinfiziert und so weiter. Aber ansonsten lief mein Leben noch ganz normal, als die meisten anderen schon drei Tage Auszeit hatten. Dann kam die Vollbremsung! So richtig verstanden habe ich es erst, als mein Sohn sagte, dass er die letzte Vorabitur-Prüfung nicht schreiben kann. Dass die tatsächlich abgesagt wurde. Ich war fassungslos, weil man doch wegen so eines Virus nicht das ganze Abitur in Frage stellen kann! Und doch war es für einen Moment in Frage gestellt, wie so vieles kurz in Frage gestellt war.

 

Steffi: Anfangs fragte man sich vor allem die Fragen: "Wie organisiere ich mich jetzt neu? Wie setze ich mich mit diesen ganzen Themen auseinander?" – und auch so ein bisschen der Gedanke: "Schaffe ich das alles?" Was uns als Steuerberater unheimlich beschäftigt hat, waren all die Soforthilfen. Ich wusste dann, okay, hier bei uns in Sachsen-Anhalt sind die erstmalig ab dem 30.3. verfügbar. Der nächste Gedanke war: "Oh Gott! Jetzt rufen hier alle gleichzeitig am 30.3. an und brauchen Hilfe bei den Anträgen. Wie willst du das alles schaffen?!" Bis ich mir dann überlegt habe: "Du könntest das als Webinar anbieten, dann können viele teilnehmen und wir können unsere Mandanten dazu befähigen, die Anträge selbst auszufüllen." Chancen erkennen, darum geht es in so einer Krise.

 

Martin: Ich hatte von Anfang an ein Störgefühl und habe mich gefragt: "Was stört mich bei diesem Lockdown?" Ich habe auch mit Freunden und Berufskollegen darüber diskutiert und mit der Zeit wurde mir immer klarer, was mich im Kern bewegt: Immer, wenn sich Dinge grundlegend verändern, braucht man Zeit. Erstens um zu analysieren, was sich verändert hat. Die zweite Frage ist: "Warum hat es sich verändert?" Und die dritte Frage war dann: "Finde ich das gut, ist das richtig oder falsch?" In der ersten Woche hatte ich also unglaubliche Störgefühle. In der zweiten Woche war ich mir sicher, es ist falsch, was wir tun und in der dritten Woche konnte ich erklären, warum ich es als falsch betrachte. Zudem habe ich mich gefragt, was das beruflich für mein Unternehmen heißt. Wir sind in unserer Kanzlei drei Inhaber. Wir haben nach wenigen Tagen ganz klassisch eine Risikoabschätzung vorgenommen: Wir sind unsere Kunden durchgegangen und haben gefragt: "Überlebt? Überlebt nicht?" Mit diesem Herangehen haben wir zum einen ein Gefühl dafür entwickelt zu verstehen, was da draußen passiert und wir konnten abschätzen, wie weit uns das alles auch in Zukunft als Unternehmer vielleicht negativ beeinflussen wird.

 

Ines: Unter dem Strich hatten wir als Steuerberater einen Monsterjob in dieser Zeit! Wir mussten uns durch all diese Dinge durcharbeiten und unsere Mandanten begleiten. Dabei habe ich aber von Anfang an auch gedacht, dass es spannend ist, dass Geld auf einmal gar keine Rolle mehr zu spielen scheint. Alles, was irgendwie machbar war, wurde getan. In einem Tempo, teilweise mit einem Aktionismus und in einem so unscharfen Zustand, wie wir es noch nie hatten seit der Wende. Letzten Endes war schnell klar, dass uns das nicht nur wenige Tage und Wochen begleiten wird, sondern das es darum gehen muss, die Weichen zu stellen. Und das heißt, die Weichen von Anfang an klug zu stellen. In dieser besonderen Zeit entstand dann auch relativ zügig – und vielleicht auch ein wenig dem Zufall geschuldet – die Idee für dieses Buch. Aus einem Gedankenaustausch in meinem Netzwerk mit anderen Kollegen, spannenden Menschen.

 

Spannenden Menschen wie deiner Mitautorin und deinen Mitautoren...

 

Ines: Ja. Das würde ich schon als ein Geschenk der Corona-Krise bezeichnen. Festzustellen, dass man nicht immer miteinander an einem Tisch sitzen muss, dass ich mich auch so substanziell austauschen kann mit diesen spannenden Menschen, die ich im Laufe meines Lebens kennengelernt habe. Das Schöne daran ist, dass du auch den Wert von Beziehung neu definierst. Dieses „höher, schneller, weiter“, das bisher gegolten hat – das wird ja so nicht mehr funktionieren. Es bekommt alles eine andere Tiefe. So war es für mich auch ein Geschenk, wie unsere Mandanten mit unseren Mitarbeitern umgegangen sind. Da war sehr viel Wertschätzung im Raum – das war jeden Tag zu spüren. Sonst hätten meine Mitarbeiter diesen Monsterjob in dieser Zeit auch nicht so gut bewältigen können. Kurzarbeit auf den Weg zu bringen, dem Unternehmer ein bisschen Mut zusprechen und so weiter. Ich würde schon behaupten, dass die Beziehung zwischen Steuerberater und Mandant eine andere Tiefe bekommen hat. Und auch meine Mitarbeiter haben den Wert ihrer Beratungsleistungen und ihrer Kompetenz nochmal anders erlebt. Denn es ist eben nicht selbstverständlich, dass du Auskunft geben kannst über Dinge, die die Regierung erst zwölf Stunden vorher auf den Weg gebracht hat.

 

Wie lief es denn bei dir in den ersten Wochen, Daniel? Deine Kunden sind schließlich Steuerberater?

 

Daniel: Anfangs waren wir im klassischen Krisenmodus – es regierten Fassungslosigkeit und Panik. Das ging so zwei, drei Wochen, obwohl das eigentlich irrational ist, weil: Was machen wir eigentlich als Kanzleistrategen? Wir coachen Kanzleien, digitaler zu werden. Also wenn man das jetzt nicht braucht, was dann?! Aber dennoch schwappte die Reaktion der Steuerberater auf uns über. Der Umsatz war gleich null und unsere erste Überlegung war: Oh Gott, wann ist das alles vorbei? Denn meine Kunden sind ja Steuerberater und die hatten komischerweise zu der Zeit alle etwas anderes zu tun, als sich um ihre Wunschkunden-Akquise zu kümmern… Aber dann haben wir die Perspektive geändert. Wir haben überlegt: Was brauchen Steuerberater jetzt? Wie können wir sie befähigen, dass sie ihren eigenen Mandanten einen Mehrwert bieten? Ab dem Zeitpunkt haben wir stark aufgedreht, im Positiven. Dazu muss man vielleicht noch wissen, dass unser Unternehmen gerade mal 15 Monate jung war, als die Krise begann. Das heißt, wir sind in dieser kurzen Zeit von einer Person – also von mir – auf ein 14-köpfiges Team gewachsen. Da braucht es ohnehin viel Agilität und Mut zur Lücke. Naja, und dann kam da noch so ein Typ mit einer Softwarelösung um die Ecke…

 

Paul: Nee, nee, nee… so lief das nicht (lacht).

 

Daniel: Ich war ja noch gar nicht fertig! Also, ich habe ja eine Facebook-Gruppe mit über 2000 Steuerberatern und auch da liefen natürlich heiße Diskussionen. Unter anderem ging es um die Bafa-Beratung und da schrieb Paul, dass man das alles auch automatisch mit seiner Softwarelösung beantragen kann. Daraufhin gab es so viele Anfragen dazu, dass wir gemeinsam beschlossen haben, ein Webinar anzubieten und ein softwaregeführtes Beratungsprodukt aus dem Boden zu stampfen. Und wenn man so will: In den ersten zwei Corona-Wochen hatten wir null Euro Umsatz und drei Wochen danach hatten wir unseren Rekordumsatz. Weil wir die Sichtweise verändert haben, weil wir unseren Kunden in einer unsicheren Zeit ein Schritt-für-Schritt-System an die Hand gegeben haben, wie sie diese Krise nutzen können.

 

Martin: „Die Krise als Chance“ – ich muss ehrlich sagen, dass ich mit diesem Schlagwort so meine Probleme habe. Wobei ich eine Kernaussage teile: Gute Unternehmen machen eines: Sie stellen sich permanent in Frage. Und was heißt Corona? Corona ist im Grunde genommen nur das Stichwort dafür, dass sich die Spielregeln verändert haben. Die wirtschaftlichen Spielregeln haben sich verändert. Auch die gesetzlichen Spielregeln verändern sich gerade mit einer hohen Dynamik. Und mit dieser Veränderung haben wir die Aufgabe, noch intensiver und in noch kürzeren Zeitintervallen zu hinterfragen, welchen Nutzen wir bei unseren Kunden stiften. Corona hat also aus meiner Sicht nicht die grundsätzliche Aufgabe neu gestellt, sondern einfach nur die Intensität, die Geschwindigkeit verändert.

 

Martin, wie gehst du denn konkret mit deinem Unternehmen durch die Krise?

 

Martin: Wir hatten letztes Jahr ein sehr, sehr gutes Jahr, auch weil wir die letzten Jahre extrem viel "am" statt nur "im" Unternehmen gearbeitet haben. Ende 2019, als Corona noch ein Fremdwort oder eine Biermarke war, haben wir gesagt, wenn wir 2020 das Jahr 2019 wiederholen könnten, das wäre ein unglaublicher Erfolg. Jetzt stellen wir Ende Mai, Mitte Juni fest, dass wir über Vorjahr liegen und das in der Krisenzeit. Wir verstehen es noch nicht ganz, beobachten es fast argwöhnisch und sind im Moment dabei, auf Sicht zu fahren. Was wir aber festgestellt haben – und das hatte ja auch Daniel gesagt: Die ersten zwei Wochen stand alles still, null Umsatz. Doch ab der dritten, vierten Woche kamen plötzlich wieder Neukunden. Ab der fünften, sechsten Woche wurden es immer mehr und viele haben uns angefragt, weil sie in der Krise festgestellt haben, dass sie bisher beim falschen Berater waren. Viele Unternehmen merken jetzt, wie schlecht sie in der Vergangenheit betreut waren. Das bestätigt uns in unserem Tun, weil wir schon seit langem auf echte Beratung der Unternehmen setzen – das klassische Steuerberatungsgeschäft macht bei uns nur 40 bis 50 Prozent des jährlichen Umsatzes aus. Die anderen 50 Prozent sind schon Projekte und Beratungen, Umstrukturierungen, Strategieentwicklung, IT-Projekte – wir sind seit 1998 digital unterwegs.

 

Ines: Wir versuchen die Dinge sehr straight anzugehen und unsere Aufgaben zu lösen. Ich weiß nicht, ob ich so weit gehen würde zu sagen, dass diese Krise die ganz große neue Chance ist – es ist vielmehr eine Chance sich zu beweisen. Wir wollen unseren Mandanten helfen und ihnen Unterstützung geben, soweit das geht, sind uns aber auch vollständig dessen bewusst, dass wir nicht alles aufhalten werden. Es geht auch darum, die Zahlen kritisch zu begleiten und mit dem Unternehmer Dinge anzusprechen, die sonst vielleicht niemand anspricht. Vor allem in der zweiten Jahreshälfte werden wir voraussichtlich nicht nur den Erfolg begleiten. Wir haben früher mit dem Untertitel gearbeitet „Wir begleiten unsere Mandanten beim Erfolg“ – ich glaube aber, wir müssen gerade jetzt auch für die schlechten Tage da sein.

 

Steffi: Ein schlimmes Bild war und ist für mich dieser Ärmelschoner-Steuerberater. Die Krise als Beschleuniger – diese Überschrift finde ich schon passend. In meiner Kanzlei war zum Beispiel der Jahresabschluss immer so eine Baustelle, die wir stärker digitalisieren wollten. Und das haben wir Anfang März jetzt einfach umgesetzt. Innerhalb von 14 Tagen war das Ding komplett digital. Zu normalen Zeiten hätten wir mit Sicherheit mindestens ein Vierteljahr dafür gebraucht. Aber es gab auf einmal keine Widerstände mehr, ob das auf Seiten der Mitarbeiter war, die alle im Homeoffice waren und natürlich trotzdem ihre Jahresabschlüsse bearbeiten wollten, oder eben auch auf Seiten der Mandanten, mit denen ich jetzt per Videokonferenz den Jahresabschluss bespreche. Das sind auch für uns Veränderungen, die man sich so im letzten Jahr noch nicht hätte vorstellen können.

 

Daniel: Ja, die Digitalisierung kam jetzt mit dem Holzhammer. Der Digitalverband Bitcom hat festgestellt, dass die ersten beiden Monate Corona die Digitalisierung in Deutschland über zwei Jahre nach vorne gebracht hat. Wer jetzt – auch in der Steuerberaterbranche – immer noch nicht verstanden hat, wie wichtig Digitalisierung ist, der sollte den Beruf wechseln. Wobei sich speziell für mein Unternehmen dahingehend wenig geändert hat. Wir machen ohnehin immer alles online. Wir arbeiten im Grunde genommen genauso wie vorher auch.

 

Paul: Ich glaube aber, für unsere Kunden hat sich etwas geändert, Daniel. Die akzeptieren auf einmal das Thema Online. Vorher hieß es immer: "Nee, komm’ mal lieber her, wir wollen uns in die Augen gucken." Auf einmal ist es das Normalste der Welt, über Onlinemeetings schnell und effizient miteinander zu kommunizieren. Es gibt eine ganz andere Akzeptanz. Mein Unternehmen selbst ist nicht in der Krise. Aber wir haben viele Unternehmen und Mandanten, die sich in der Krise wähnen, um es einmal so auszudrücken. Und ich versuche meinen Kunden zu helfen, andere Perspektiven auf die Situation zu gewinnen und zu zeigen, dass wir mit digitalen Werkzeugen viele Themen effizienter lösen können. Wir verstehen uns nicht als Softwarelieferant nach dem Motto: Hier hast du ein Werkzeug, hier ist die Funktion, damit kannst du das und das machen. Sondern wir verstehen uns als Partner, um schnell und agil weitere Funktionen zur Verfügung zu stellen, die der Kunde in genau dem Moment benötigt. Wenn bei uns im Hamburger Hafen irgendwann mal wieder die Queen Mary liegt, die braucht sechs Schlepper, um sich zu drehen. Wer so langsam unterwegs ist, wird nie schnell reagieren können. Ich persönlich hätte auch gar keine Lust, in so einem Unternehmen zu arbeiten, wo du mit jeder Menge Bedenkenträgern am Tisch sitzt, mit denen du jedes Mal erst diskutieren musst, wieso weshalb warum… Da arbeite ich lieber mit Menschen wie Steffi zusammen, das bringt einfach Laune. Weil man mitbekommt, wie es beim Mandanten draußen tatsächlich funktioniert und was der Berater, in dem Fall Steffi, wirklich an Unterstützung benötigt. Wenn ich dann das Feedback zurückbekomme von ihrem Mitarbeiter, der das sehr gut fand, sich selbst aber nicht zutraut einem Mandanten solche Fragen zu stellen, dann merke ich: Es geht gar nicht um das Werkzeug, dass der Kunde verwendet, sondern es geht um das Coaching. Den Mut zu gewinnen, einfach mal Sachen zu machen. Und das schließt den Kreis zu Daniel, der eben dieses Coaching mit den Kanzleien macht und dort dieses Mindset aufbaut, einfach mal zu machen.

 

Martin: Aus der Wissenschaft weiß man, dass Rezessionen oder Krisen immer zu einer Beschleunigung der Automatisierung und damit auch der Digitalisierung führen. Ich glaube, auf Unternehmer, Steuerberater, Wirtschaftsprüfer, die sehr stark digital unterwegs sind, kommen interessante Zeiten zu. Denn es entsteht gerade ein unglaublicher Kostendruck im Mittelstand. Wir sind zum Beispiel heute schon in der Lage, für Unternehmen, die derzeit vier bis fünf Buchhalter beschäftigen, die Finanzbuchhaltung komplett automatisiert abzuwickeln ohne diese fünf Leute. Für einen Teil der Berater wird das alles also hoch spannend, hoch interessant werden. Und die, die sich dem verschließen, werden Probleme haben.

 

Ines: Ich stimme dir zu, Martin. Die Wirtschaft wird durch die Krise in Richtung Digitalisierung beschleunigt. Trotz alledem sollten wir dabei aber sehr aufpassen. Denn Digitalisierung hat auch schon in der Vergangenheit nur dann funktioniert, wenn wir die Menschen mitnehmen. Wenn Digitalisierung schlecht gemacht ist, verschwendet sie Ressourcen und verbrennt Menschen. Ich wünsche mir dort eine andere Aufmerksamkeit und Achtsamkeit auch seitens der Führungskräfte. Das Beispiel Home Schooling zeigt aus meiner Sicht sehr anschaulich, wie unterschiedlich der Umgang mit digitalen Konzepten ist. Als Gesellschaft sollten wir ein bisschen mehr dafür sorgen, dass es gut abläuft – menschenwürdige Digitalisierung klingt jetzt vielleicht komisch – aber ich meine es eigentlich genau so. Es muss darum gehen, Digitalisierung so zu gestalten, dass man sie auch beherrschen kann, dass sie niemanden überfordert. Denn wenn es schlecht gemacht ist, ist Digitalisierung auch nicht der Königsweg. Was mir persönlich bei alldem ein bisschen Angst macht: Bis vor kurzem war Datenschutz das Thema und jetzt habe ich manchmal das Gefühl, Datenschutz spielt keine große Rolle mehr. Aber wir reden immer noch über vertrauliche Daten und es gibt immer noch Dinge, die schützenswert sind. Wir sollten nicht alle unsere Maßstäbe aufgeben und Digitalisierung zur absoluten Manie erklären. Da bin ich auch wieder bei Martin. Wenn ich höre, dass unsere Regierung aus dieser Misere Corona ein Recht auf Homeoffice der Mitarbeiter ableiten will, dann kann ich nur den Kopf schütteln. Wenn alle Arbeitnehmer so arbeitsfähig und funktionsfähig wären, dann wären sie Unternehmer. Wir müssen schon aufpassen, dass der Staat nicht in alle Dinge und Lebensbereiche eingreift… Gerade bei den Themen flexible Arbeitszeit und Homeoffice: Es ist psychologisch erwiesen, dass es höchstens 40 Prozent der Mitarbeiter aushalten, sich permanent selbst zu organisieren und auf Dauer im Homeoffice zu arbeiten. Aus der Situation mit Corona dauerhaft einen Rechtsanspruch ableiten zu wollen, das halte ich für kritisch. Als Unternehmer sollten wir Entscheidungen treffen können, die zur eigenen Firmenkultur passen, und nicht Gesetze aus einer aktionistischen Haltung heraus machen.

 

Nochmal kurz und knackig: Welchen Rat möchtet ihr mit auf den Weg geben? Aber bitte jeder nur einen!

 

Steffi: Für mich ist es wichtig, bei sich selbst zu bleiben. Sich unabhängig von den ganzen steuerlichen Themen immer wieder neue Anregungen zu holen und den Blick in die Zukunft zu richten. Die Perspektive zu wechseln, das finde ich persönlich am wichtigsten in dieser ganzen Situation.

 

Daniel: Wichtig aus meiner Sicht: Die Vergangenheit als Ausrede zählt nicht mehr.

 

Paul: War das eine Ausrede?!

 

Daniel: Ja, finde ich schon. Sätze wie „Das haben wir schon immer so gemacht“ oder „Unsere Mitarbeiter machen das nicht so oder „Unsere Mandanten möchten das nicht“ – immer wieder auf Hindernisse zu verweisen, die einem die Struktur vermeintlich vorgibt. Doch jetzt ist genau die Zeit, alles neu zu überdenken und nicht mehr nur auf die Vergangenheit abzustellen. Das zählt aus meiner Sicht nicht mehr. Man muss eine ganz andere Perspektive einnehmen.

 

Paul: Mein wichtigster Rat ist, auch wenn das vielleicht abgedroschen klingt: Stillstand ist Rückstand. Als Unternehmer sollte man grundsätzlich immer alles hinterfragen. Denn durch Corona sind jetzt viele von außen gezwungen sich zu hinterfragen. Doch warum muss erst eine extreme Situation eintreten, bevor man sich fragt, warum man die Dinge so oder so tut.

 

Daniel: Das könnte vielleicht auch eine neue Kreativtechnik sein… Was würde ich tun, wenn wieder Corona eintreten würde? Das ist eigentlich eine gute Frage, die sich jeder Unternehmer jeden Tag stellen sollte.

 

Paul: Oder was passiert, wenn morgen in Hamburg Unruhen ausbrechen und meine Leute nicht zur Arbeit kommen können, weil Soldaten auf der Straße stehen? Es gibt eigentlich nie den Punkt zu sagen, ich bin angekommen. Zumindest nicht im Business. Es stellt sich immer die Frage, was kommt als Nächstes? Nicht weil ich auf der Flucht bin oder auf der Jagd, sondern weil ich mir einfach überlegen möchte: Was kann ich jetzt Verrücktes machen, um mich abzugrenzen von meinem Marktplatz?

 

Ines: Ins Handeln kommen. Ins Handeln kommen nach deinen eigenen Werten und Überzeugungen und nach deinen eigenen Prioritäten – das ist mein wichtigster Rat. Aus der Starre heraus ein Handeln zu initiieren, das den Mitarbeitern das starke Signal gibt, dass der Arbeitgeber gut aufgestellt ist und einen Wertekontext lebt, aber auch den Kunden einen echten Nutzen bietet. Vielleicht ist auch das ein Geschenk der Corona-Krise: Da ist wenig Platz für Egozentrik und Egomanie. Stattdessen steht der Nutzen für den anderen im Vordergrund, auch wieder eine gewisse Achtsamkeit füreinander.

 

Martin: Meine Empfehlung ist, sich regelmäßig aus dem Alltag herauszunehmen, sich mit kritischen Geistern an einen schönen Ort zu setzen und zu diskutieren, wie sieht die Zukunft in drei oder vier Jahren aus. Dabei kreativ herangehen und gerade nicht die Leute mitnehmen, die derselben Meinung sind wie du, sondern kontrovers diskutieren und querdenken.

 

Wo wollt ihr beruflich und persönlich sein im Jahr 2025?

 

Steffi: Unser Ziel als Unternehmen steht: 2022 wollen wir eine komplett digitale Kanzlei sein. Ich möchte mich komplett auf das Thema Beratung konzentrieren und nicht auf solche Nebenkriegsschauplätze wie das Scannen von Belegen.

 

Daniel: Also bei mir ist das ein bisschen visionär geprägt: Ich möchte gern mit 1000 Unternehmern und Beratern gemeinsam das Unternehmertum feiern. Veränderungen mit Leichtigkeit und positiver Energie. Wir haben in der Branche eine gute Ausgangssituation, tun uns aber immer so schwer mit Nichtigkeiten. Eigentlich haben wir so viele Gestaltungsmöglichkeiten, diese Offenheit zur Änderung möchte ich gern mit nach vorn tragen.

 

Paul: Ich sehe unser Unternehmen und das gesamte Team mit mehr persönlichem Freiraum ausgestattet durch die zunehmende Digitalisierung, um Zeit für das Wesentliche im Leben zu haben, nämlich Zeit für Menschen. Und nicht Zeit für irgendwelche Programmiersprachen oder anderes, das zwar auch alles seine Daseinsberechtigung hat, aber letztlich doch nur Mittel zum Zweck ist. Wir möchten mit unserer Technologie möglichst einen Innovationsträger bereitstellen, der mehr Freiraum ermöglicht – sowohl für uns als auch für unsere Kunden.

 

Martin: Ich glaube, dass wir als Unternehmen mit aktuell 35 Mitarbeitern – wobei wir uns in drei, vier, fünf Jahren von elf Leuten auf 35 deutlich entwickelt haben – nochmal verdoppeln werden. Einzige Prämisse ist, dass wir weiterhin eine freie soziale Marktwirtschaft haben und nicht in Richtung Sozialismus abdriften. Denn im Moment können wir beobachten, dass viele wieder glauben, der Staat richtet alles. Das höre ich stellenweise auch hier in der Runde ein bisschen heraus. Das geht meiner Ansicht nach in die falsche Richtung. Wir müssen wieder mehr in die Eigenverantwortung der Menschen kommen und sie in die Lage versetzen, eigenverantwortlich zu arbeiten und zu denken. Ich glaube, dass es da eine Trendwende braucht. Rein persönlich habe ich durch Corona keine neuen Erkenntnisse gewonnen, außer dass mir wieder klar wurde: Freiheit ist für mich das wichtigste Gut. Corona hat mir vieles nur noch bewusster gemacht.

 

Ines: Ich bin heute schon eine andere als ich vor drei Monaten war. Ich finde, das ist ein positiver Prozess, der hoffentlich mein Leben lang anhalten wird. Aus meiner persönlichen Sicht ist diese Zeit vergleichbar mit der Wende als 17-Jährige. Dass man als 47-Jährige nochmal so zum Reset gezwungen war! Corona hat nicht gleich alles verändert, aber diese Zeit hat doch im Mindset einiges verändert, mir ein Stück weit eine andere Perspektive gebracht. Ich habe gelernt, dass mein Netzwerk und das Geschenk der tragfähigen Beziehungen etwas Wunderbares ist. Das hat auch nichts damit zu tun, Unternehmerin zu sein, sondern viel mehr damit, dass Menschen mit Ecken und Kanten und anderen Überzeugungen den eigenen Horizont erweitern. Auch im Beruflichen sehe ich Veränderungen: Unser Wert als Dienstleister für unsere Mandanten ist noch einmal gestiegen. Es gibt da diesen Ausspruch: Einem Unternehmer kann nichts Schlimmeres passieren als sieben gute Jahre nacheinander. Im Grunde wissen wir, dass dieses Mantra von "höher, schneller, weiter" so nicht mehr funktioniert. Es geht also darum, sich der Dinge bewusst zu werden, die für einen selbst von Wert sind. Mit einem Team zu arbeiten, das miteinander Wege gehen kann, das sich aufeinander verlassen kann. Nach dieser Krise ist meines Erachtens weniger Platz für Beliebigkeit und Oberflächlichkeit. Die Leute sind ehrlicher und authentischer miteinander. Wir sind durch Corona auch aus diesem rollenhaften, formelhaften Verhalten ein bisschen ausgestiegen, haben mehr Geduld miteinander. Es herrscht eine gewisse Entschleunigung, die wir uns behalten sollten. Das würde ich mir wünschen.

 

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Thema: newgen Insights

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